Kiro – Die Gestaltung intelligenter autonomer Systeme im Auto
Design Fiction by Ronda Ringfort
Supervised master thesis by Matthias Laschke & Prof. Dr. Marc Hassenzahl | Siegen 2019
Die Art und Weise, wie Menschen mit Technik interagieren war lange Zeit eindeutig festgelegt. Menschen ergriffen die Initiative zu handeln und bezogen unbelebte Dinge in ihre Handlungen mit ein. Der Ursprung für eine Handlung, ihr Sinn und Zweck, lag dabei immer beim Menschen. Autonome und lernende Systeme verändern dieses Verhältnis grundlegend. Solche Systeme können selbstständig die Initiative ergreifen, eigenständig handeln und komplexe Zusammenhänge erkennen und in ihr zukünftiges Handeln einbeziehen. Neben der vermeintlichen Intelligenz autonomer Systeme können diese auf immer „natürlichere“ Art und Weise mit Menschen interagieren. Sie verstehen beispielsweise Gesprochenes und können selbst sprechen. Aus dem unbelebten Werkzeug formt sich mehr und mehr ein Gegenüber mit eigener Handlungskompetenz. Plötzlich liegen der Ursprung, die Initiative und die Zielsetzung von Handlungen nicht mehr exklusiv beim Menschen. Aus den genannten technischen Möglichkeiten ergeben sich neue gestalterische Potentiale und Herausforderungen.
Die Masterarbeit von Ronda Ringfort leistet einen Beitrag zu diesem gestalterischen Diskurs. Im Kontext des Autos thematisiert Ronda Ringfort die Gestaltung einer sozialen künstlichen Intelligenz als ein Gegenüber zum Autofahrer. Die Grundlage ihrer eigenen gestalterischen Arbeit bildet eine detaillierte Analyse aktueller Zukunftsvisionen zum Einsatz intelligenter autonomer Systeme im Auto ausgewählter Automobilhersteller. Die Analyse von 38 Zukunftskonzepten, die in Form von Sprachassistenzen gestaltet wurden, deutet auf eine Diskrepanz zwischen den Rollenbezeichnungen der Assistenzen wie „Freund“ und „Partner“ und der Art der Beziehungsgestaltung und ihren Funktionsumfängen hin. Das Prinzip der Freundschaft und Partnerschaft als eine „dyadische, persönliche und informelle Sozialbeziehung“, die auf „Gegenseitigkeit“ beruht, findet sich in keinem der Zukunftskonzepte wieder. In dieser Diskrepanz sieht Ronda Ringfort eine Lücke, die ein ungenutztes gestalterisch Potential für die Erschaffung neuer, positiver und bedeutungsvoller Erlebnisse im Auto in sich birgt.
Im Anschluss an ihre Analyse gestaltet Ronda Ringfort eine soziale künstliche Intelligenz namens „Kiro“ in Form einer Design Fiction. Die Methodik der Design Fiction zielt auf die Erschaffung möglicher Zukunftsperspektiven. Gestaltete Artefakte zukünftiger Technologien schaffen einen Resonanzraum für die Exploration möglicher Implikationen, die diese Technologien potentiell auslösen. Bei der Design Fiction geht es nicht um die Erschaffung von Innovationen oder Markterfolgen. Im Zentrum stehen der kritische Diskurs und die Möglichkeit mehr über eine Zukunft zu erfahren, ob diese funktioniert und Menschen diese als potentiell mögliche Lebenswelt für sich gelten machen können.
Im Zentrum der Gestaltung von Kiro steht die Beziehungsgestaltung. Diese beruht auf Prinzipien aus der Psychologie und Psychotherapie. Als Artefakt der Design Fiction gestaltet Ronda Ringfort zusätzlich das Interaktionsdesign, das Industriedesign und die gesamte Narrative eines Start-Up-Unternehmens, das Kiro auf einer Internetplattform zur Vorbestellung anbietet. In Summe entsteht ein realistischer und glaubhafter Eindruck von Kiro, der sich in der Website anhand unterschiedlicher Inhalte manifestiert.
In einer empirischen Untersuchung wird Kiro in drei unterschiedlichen Formaten Teilnehmern zugänglich gemacht: In (1) einem Workshop mit potenziellen Nutzern, (2) einem Interview mit einem Experten der Automobilindustrie und anhand von (3) Reaktionen aus sozialen Netzwerken (Facebook, LinkedIn, XING, Spectrum, Presse, E-Mail-Reaktionen) werden die Reaktionen zu Kiro gesammelt und von Ronda Ringfort zusammengetragen.
Im Ergebnisteil ihrer Arbeit diskutiert Ronda Ringfort ausgehend von der empirischen Untersuchung die Herausforderungen und Bedenken, die Potenziale und Möglichkeiten, die Akzeptanz und die sich daraus ergebenen Forschungsinteressen und Fragestellungen. Aus der umfänglichen Datenerhebung und Auswertung lassen sich folgende Punkte hervorheben. Der freundschaftliche und persönliche Austausch mit einer künstlichen Intelligenz erscheint vielen Teilnehmer als befremdlich. Die Kommunikation mit realen Menschen, beispielsweise in einem Telefonat mit Freunden während der Fahrt, würde von Teilnehmern bevorzugt werden. Zusätzlich nehmen viele das Auto als Rückzugsort wahr, in dem vornehmlich keine Gespräche geführt, sondern Ruhe und Abgeschlossenheit gesucht werden. Des Weiteren würden die Teilnehmer eher sachliche als persönliche Gesprächsthemen im Gespräch mit Kiro bevorzugen. Diese Nutzung widerspricht der Beziehungsgestaltung von Kiro als Freund, zeigt aber, dass der persönliche Austausch und die Offenbarung von persönlichen Informationen gegenüber einer Maschine eher als befremdlich empfunden werden. Dennoch gibt es auch Stimmen, die Kiro als einen Freund wahrnehmen. Wie dieser Zustand von Zuneigung im Detail gestalterisch erzeugt wird, kann in der Arbeit von Ronda Ringfort nicht beantwortet werden.
Die Arbeit leistet dennoch einen umfänglichen und interessanten Beitrag zu unterschiedlichen Fragestellungen im Spannungsfeld der Gestaltung autonomer und lernender Systeme. Außerdem erweitert die Arbeit die Methodik der Design Fiction um ein Anwendungsbeispiel, das sowohl thematisch als auch in seiner empirischen Auswertung vorbildlich umgesetzt wurde.